ENERGIEVERSORGER HABEN NOCH ERHEBLICHEN NACHHOLBEDARF BEI NEUEN FORMEN DER ZUSAMMENARBEIT

Kehrseite Homeoffice: Über psychische Probleme, wieso das Arbeiten zu Hause keine Dauerlösung ist und wie Führungskräfte Ihre Mitarbeiter unterstützen können: Die beiden AXXCON- Experten Michael Möller uns unser ehemaliger Partner Dirk Stieler im Interview.

Herr Möller, gibt es bei Ihrer Homeoffice-Umfrage Unterschiede bei der Sparte Energieversorgern im Vergleich zu anderen Unternehmen, wenn ja, welche? Was hat Sie hier besonders überrascht?

Michael Möller: Bemerkenswert finde ich, dass trotz eines relativ hohen Anteils an Büroarbeitsplätzen sich die EVU Branche weniger gut auf die veränderten Arbeitsbedingungen eingestellt hat. Darüber hinaus haben auch die Motivation der Mitarbeiter und die Innovationsfähigkeit überdurchschnittlich gelitten. Interessant ist auch, dass Neukundengewinnung und informeller Austausch im Vergleich zu anderen Branchen eher zugenommen haben. Es zeigt sich, dass EVU noch erheblichen Nachholbedarf bei neuen Formen der Zusammenarbeit wie etwa agilen Methoden haben. Es zeigt sich in der Breite das Fehlen von neuen Konzepten zur Umgestaltung oder Umnutzung bestehender Büroflächen.

Herr Stieler, Energieversorger hatten im Vergleich zu Banken und Versicherungen eher Schwierigkeiten, sich aufs Homeoffice einzustellen. Nur 15 Prozent haben sich hier „sehr gut“ aufgestellt gesehen. Gleiches gilt für die Führungskräfte (EVUs landen bei 36 Prozent, Banken und Versicherungen bei 42 und 56 Prozent) Was müsste sich hier ändern? Herausfordernd ist es für EVU sicherlich auch, dass sie nicht ihre ganze Belegschaft ins HO schicken können?

Dirk Stieler: Banken und Versicherungen sind in Bezug auf die Digitalisierung von Geschäftsprozessen den EVU ein wenig voraus. Hinzu kommt, dass gerade bei mittelgroßen und kleineren EVU die Führungskräfte eher auf Anwesenheit setzen oder die Anwesenheit z.B. in technischen Bereichen erforderlich ist. Es müssten also Digitalisierungsinitiativen und die Veränderung der Führungskultur hin zu eigenverantwortlichen Mitarbeitern bzw. Teams stärker gefördert werden.

Stichwort Veränderungen im Unternehmen: Demnach hat sich die Innovationsfähigkeit bei 49 Prozent der Unternehmen verbessert, auch die Effizienz von Meetings oder die Arbeitsteilung hat positive Auswirkungen. Zugleich hat sich die physische Gesundheit bei 54 Prozent der Mitarbeitenden verschlechtert, ebenso werden Konfliktlösungen und Teambuildung negativ bewertet. Das sind alarmierende Zahlen. Was wiegt schwerer, Innovationsfähigkeit oder die physische Gesundheit. Und wie lässt sich eine zufriedenstellende Lösung für beide Seiten enden?

Michael Möller: Generell werten wir es als Alarmsignal, wenn die Mitarbeiter und Führungskräfte gleichermaßen über psychische Probleme und Defizite auf der sozialen Ebene klagen. Hier liegt die Basis für Arbeitszufriedenheit, motiviertes Arbeiten und Leistung. Hieraus entsteht Innovationskraft und nicht umgekehrt. Unternehmen sollten hier zukünftig den Fokus auf einen ausgewogenen Mix von Off-/On-Site Tätigkeiten legen und gezielt Überforderungen etwa infolge von Verdichtung vermeiden.

Wie schätzen Sie die Zukunft der neuen Arbeitswelt nach der Pandemie ein?

Michael Möller: Eine vollständige Rückkehr zu alten Mustern wird es aus unserer Sicht nicht geben. Arbeitgeber sind gefordert, neue Formen der Zusammenarbeit unter Mitwirkung ihrer Mitarbeiter zu entwickeln und einzuführen. Hier werden unter anderem partizipative Konzepte sowie Führen auf Distanz unverzichtbarer Bestandteil sein. Im Kampf um Talente können sich auch EVU nicht mehr leisten, im reinen Vorwärtsbetrieb zu arbeiten.

Als größte Risiken des hybriden Arbeitens geben Ihre Umfrageteilnehmer an, dass sich Privates und Arbeit zu sehr vermischen. Außerdem fühlen sich die Mitarbeitenden einsam. Auch fehlt Führungskräften das Know-how zum Führen auf Distanz. Was könnte hier Abhilfe schaffen?

Michael Möller: Die Führungskräfte haben eine besondere Verantwortung und können hier sehr viel Support leisten. Persönliche und soziale Nähe sind für die Wirksamkeit des Unternehmens essenziell und lassen sich remote nicht vollständig herstellen. Umso wichtiger ist es, bei den Mitarbeitern auch die Einhaltung von Pausen- und Ruhezeiten im Blick zu behalten. Es gibt hier schlichtweg die Gefahr eines Selbstausbeutungseffekts. Führungskräfte können sich in passenden Formaten auf diese neuen Herausforderungen vorbereiten. Systematische Qualifizierung wie beim Führen auf Distanz oder dem Management virtueller Teams – um nur zwei Beispiele zu nennen – ist ein kritischer Erfolgsfaktor.

Als größtes Plus beim hybriden Arbeiten wird die Zeitersparnis angesehen, weil hier die Fahrtzeiten wegfallen. Die Selbstbestimmung bei den Arbeitszeiten wird an zweiter Stelle genannt, dicht gefolgt von mehr Eigenverantwortung der Mitarbeitenden. Die erhöhte Produktivität ist hingegen erst an achter Stelle. Hat Sie das überrascht? Und welche Schlüsse sollten Arbeitgeber aus diesen Ergebnissen ziehen?

Dirk Stieler: Die Produktivität wird maßgeblich durch die IT-Ausstattung und digitalisierte Geschäftsprozesse beeinflusst. Die Ausstattung für mobiles Arbeiten konnte durch die IT-Abteilungen oft in relativ kurzer Zeit bereitgestellt werden. Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen ist komplexer und aufwändiger. Die Produktivität wird also weniger über den Ort der Leistungserbringung, sondern eher über den Grad der Digitalisierung des Unternehmens insgesamt beeinflusst. Der Grad der Digitalisierung oder auch die Automatisierung von Prozessen verändert sich nicht darüber, dass mobil gearbeitet wird.

Welche Maßnahmen sollten Arbeitgeber ergreifen, um Ihre Mitarbeitenden möglichst gut zu fördern in Zeiten von hybriden Arbeiten? Wie gewährleiste ich, dass es weiterhin Fortbildung gibt und wie überprüfe ich Fortschritte? Oder wie merke ich, dass meine Mitarbeitenden Probleme haben? Ist es überhaupt sinnvoll dauerhafte Homeoffice-Arbeitsplätze zu schaffen?

Dirk Stieler: Hybrides Arbeiten erfordert eine Veränderung der Führungskultur. Die Führungskräfte sind entsprechend vorzubereiten und müssen immer wieder aktiv den Kontakt zur Mitarbeiterschaft suchen. Dauerhafte HO-Arbeitsplätze gefährden den Teamzusammenhalt und können zur Vereinsamung von Mitarbeitern führen. Es kristallisiert sich heraus, dass hybrides Arbeiten, zum Beispiel „nur“ 2-3 Tage HO, der Zusammenarbeit und der Gesundheit zuträglicher ist, als reines HO. Das Unternehmen und die Führungskräfte sind gefordert, Möglichkeiten zur sozialen Interaktion am Arbeitsplatz zu schaffen.

Technische Ausstattung für HO-Arbeitsplätze sind der Umfrage zufolge bereits zum größten Teil geschaffen, auch die Einhaltung der Datenschutzregeln. Wo es noch hapert ist die Heim- Ausstattung, wie Büromöbel und Beleuchtung zu Hause. Sind hier die Arbeitgeber gefragt, Standards zu schaffen?

Michael Möller: Letztlich muss den Unternehmen klar sein, dass das Ersetzen des rechtlich eingeführten Begriffs der Telearbeit durch „Home Office“ es nicht der Verantwortung enthebt, grundsätzlich auf die Einhaltung z.B. der Arbeitsplatzschutzverordnung zu achten. Hier geht es nicht darum bestimmte Möbel vorzuschreiben, sondern um Ergonomie und Gesundheitsschutz – wie Beleuchtung, Sitzhöhe. Bei der Beteiligung an den Kosten machen sich die meisten Unternehmen (branchenübergreifend) einen schlanken Fuß. Es ist nur fair, wenn tendenziell verringerte Raumkosten nicht einseitig den Arbeitgebern zu Gute kommen.

Wird HO zur Dauerlösung, wollen Entscheider vor allem ihre Büroräume an die neue Arbeitswelt anpassen. Was auffällt: Energieversorger haben im Vergleich zu Banken und Versicherungen bislang eher keinen Plan, wie sie mit freiwerdenden Büroräumen verfahren sollen. Was raten Sie den EVU-Entscheidern hier?

Dirk Stieler: Wie bereits angemerkt ist die reine HO-Lösung keine Option. Das Verhältnis von reinen Büroflächen zu Flächen mit sozialer oder betrieblicher Interaktion ist sicherlich neu zu definieren. Entscheider haben hier die Aufgabe das „new normal“ auf die eigenen betrieblichen Belange und Anforderungen zu übertragen. Auch ist zu berücksichtigen, wie dieser Prozess durch eine (weitere) Digitalisierung der Arbeitswelt im EVU gefördert werden kann oder sogar muss. Eine reine Flächenbetrachtung greift also zu kurz. Es bietet sich an, ggf. mit externer Unterstützung, ein unternehmensweites Konzept zu erstellen, welches allen Beteiligten vermittelt werden kann. EVU-Entscheider haben also wirtschaftliche und kulturelle Aspekte unter einen Hut zu bringen. Dies kann soweit gehen, dass die Aufbau- und Ablauforganisation und auch die Führungskultur neu gedacht werden müssen. Oft geht dies auch mit einer Wertediskussion im Unternehmen einher. Letztendlich ist professionelles Change Management gefragt.

Die Fragen stellte Stephanie Gust 

Quelle: ZfK, 06.07.2021

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